Am 28. Februar ist Rare Disease Day: Derzeit sind mehr als 50.000 Krankheiten des menschlichen Körpers bekannt. Etwa 6.000 davon gelten als "selten". Doch wie lebt es sich mit einer Seltenen Erkrankung? Wie fühlt es sich an, einer der wenigen zu sein? Im Interview berichtet Petra Strack (36), die im Alter von 18 Monaten die Diagnose „Spinale Muskelatrophie“ erhielt.
Frau Strack, Sie sind Betroffene einer Seltenen Erkrankung, der so genannten „Spinalen Muskelatrophie“. Was hat es mit SMA auf sich und wie äußert sich die Krankheit?
Die Spinale Muskelatrophie ist eine vererbbare Krankheit, bei der aufgrund eines Gendefekts ein bestimmtes Protein nicht mehr hergestellt wird. Dieses Protein wird jedoch von den motorischen Nervenzellen im Rückenmark dringend benötigt. Aufgrund des Mangels gehen diese größtenteils zugrunde und können die Muskeln nicht mehr ansteuern. Hierdurch kommt es zu einer starken Muskelschwäche, die sich beispielsweise in einer stark reduzierten Lungenfunktion äußert und auch darin, dass die allgemeine Muskelkraft stark reduziert ist.
Wann wird SMA in der Regel erkannt?
Das ist vom genauen Typ der SMA abhängig, aber bei den schweren Formen wird bereits im frühen Kindesalter deutlich, dass es ein Problem gibt. Sehr häufig kommt es dann aber zu einer wahren Odyssee für die Betroffenen, bis man wirklich zur richtigen Diagnose kommt, da die Symptome nicht spezifisch sind und nicht jeder Arzt direkt auf die Idee kommt „Das könnte vielleicht SMA sein“. Bei mir persönlich wurde SMA im Alter von 18 Monaten diagnostiziert, meine Eltern haben jedoch schon etwa sechs Monate vorher gemerkt, dass etwas nicht stimmt.
Woran kann man die Erkrankung denn erkennen?
Die betroffenen Kinder fangen nicht an, die normalen Meilensteine zu durchlaufen. Sich zum Beispiel zu drehen, sich aufzusetzen oder zu laufen. Dies passiert aufgrund der Muskelschwäche alles nicht und daran merkt man eben, dass etwas nicht stimmt. Babys bewegen sich deutlich weniger und bei schweren Ausprägungen merkt man auch schon, dass die Atmung flacher ist.
Welche Rolle spielt denn die frühzeitige Erkennung für den Krankheitsverlauf?
Dies spielt eine enorm große Rolle. Je früher man die jetzt zur Verfügung stehenden Medikamente verabreicht, desto schwächer ausgeprägt werden die Symptome im Verlauf des Lebens sein. Aus den aktuellen Studien ergibt sich: Je früher man die Erkrankung behandelt, am besten auch präsymptomatisch, desto besser sind die Erfolge der Behandlung. Dies hat ganz konkreten Einfluss auf die Lebenserwartung und vor allem auch auf die Lebensqualität. Ein präsymptomatisch behandeltes Kind kann fast normal aufwachsen.
Wie läuft die Erkennung denn heutzutage in der Praxis?
Seitdem man über DNA-Analyse testen kann, hat sich die Erkennung etwas verbessert, aber nichtsdestotrotz muss der Arzt natürlich zunächst einmal überhaupt testen und dies ist wie gesagt ein Problem, da aufgrund der Seltenheit der Erkrankung Ärzte nicht immer auf die Idee kommen, überhaupt zu testen.
Sehr positiv ist, dass es künftig ein Neugeborenen-Screening geben soll. Dies wird die Erkennung deutlich nach vorne bringen. Dies macht allerdings auch erst Sinn, seitdem es Medikamente zur Behandlung gibt. Vorher hatte man über die Früherkennung auch weniger nachgedacht, da man ohnehin nicht wirklich etwas machen konnte.
Wie beurteilen Sie den Informationsstand in der Ärzteschaft?
Der Informationsstand ist schlecht. Das Problem ist natürlich, dass die Krankheit sehr selten ist und wenn man nicht gerade zufällig an einen Experten gerät, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Arzt noch nicht mit dem Krankheitsbild vertraut ist.
Wichtig ist aus meiner Sicht, dass Ärzten Informationsquellen zur Verfügung stehen mit deren Hilfe sie schnell und sicher recherchieren können. Das gilt auch für Fälle, in denen SMA bereits diagnostiziert wurde. Denn beispielsweise bei einem Knochenbruch muss man bei SMA auch anders vorgehen, als man es bei einem nicht-behinderten Patienten tun würde. Das sollten Ärzte idealerweise wissen, bevor sie behandeln.
Die Identifikation von Patienten ist nicht nur für Ärzte sondern auch für Pharmaunternehmen eine große Herausforderung. Was würden Sie diesen raten?
Es gibt eigentlich für jede Behinderung oder Erkrankung Patientenorganisationen bzw. Selbsthilfegruppen. Bei SMA sind wir zum Beispiel gerade über Social Media unheimlich gut vernetzt und tauschen uns in Foren intensiv aus. Und darüber kann man die Patientengruppe und deren Bedürfnisse und Wünsche sehr gut identifizieren. Mit der Hilfe von Fokusgruppen kann man diese Patienten sehr gut erreichen und mit diesen zusammenarbeiten.
Bei den Gruppen in sozialen Netzwerken handelt es sich häufig um Facebook-Gruppen. In einer Gruppe tauschen sich beispielsweise über 150 Frauen mit SMA aus – nur aus Deutschland.
Und was sollten Pharmaunternehmen im Hinblick auf die Kommunikation beachten?
Sehr wichtig ist, dass man sich transparent an die Administratoren derartiger Social Media Gruppen wendet. Wichtig ist auch, mehr zu fragen als zu glauben, man habe bereits die Antworten. Ich habe beispielsweise festgestellt, dass das was Ärzte glauben und sagen und machen oft sehr anders ist als das Erleben der Patienten am Ende.
Pharmafirmen sind gut beraten, mehr auf die Patienten zu hören als nur auf die Aussagen der Ärzteschaft zu vertrauen. Denn gerade im Falle der Seltenen Erkrankungen sind Patienten häufig besser informiert als viele Experten. Weil man sich aus der Not heraus mit dem Thema so tief beschäftigt wie sonst vermutlich niemand.
Als Spinale Muskelatrophie (SMA) bezeichnet man eine Erkrankung, bei der Nervenzellen im Rückenmark zugrunde gehen. Diese steuern für gewöhnlich die Bewegungen von Muskeln. Die Erkrankung geht auf ein fehlerhaftes Gen zurück: das SMN1-Gen (Survival-of-Motorneurons-Gen 1). Dieses Gen bildet normalerweise ein Protein, das für den Erhalt der Nervenzellen nötig ist. Ohne dieses verkümmern die Nervenzellen.
Eine schwerwiegende Folge ist ein Muskelschwund, vor allem an Armen und Beinen, später am gesamten Rumpf. Da in vielen Fällen auch die Atemmuskulatur beeinträchtigt wird, sind die Erkrankten häufig auf eine Beatmungstherapie angewiesen. Bei der schlimmsten Form der Erkrankung, dem Typ 1, können die betroffenen Kinder häufig nicht sitzen oder den Kopf halten. Viele dieser jungen Patienten sterben schon vor dem zweiten Lebensjahr. Neue Therapieansätze geben Betroffenen Hoffnung auf eine deutliche Verbesserung des Gesundheitszustands und der Entwicklungschancen.